Federn lassen


Ein Weihnachtsgrußwort

Nachdem die Engelschöre ihren Auftritt beendet hatten, kehrte nun vor dem Stall etwas Ruhe ein und unser Rheinhessicher Alltagsengel konnte sich seiner weiteren Aufgabe widmen.
Er war neben dem jubilieren und singen auch dafür zuständig, dass der schriftlich fixierte Ablauf zur Geburt Jesu eingehalten wird. So machte er es sich neben der Krippe bequem, öffnete ein Fläschchen Rheinhessen Silvaner, schenkte sich ein, kramte dann die Aufgabenliste hervor und fing an abzuhaken. Stall gesäubert? – Haken! –  Esel und Ochs besorgt? – Haken! –  die Hirten auf dem Felde informiert? – Haken! – Krippe und Windeln bereitgestellt? – Ha…. Nein, hier zögerte er, denn schon bei der Auftragsvergabe hatte er gerade an diesem Punkt seine Bedenken geäußert. Er war nämlich der Überzeugung, dass Neugeborene, die nur mit einer Windel bekleidet sind, nicht in altem, unhygienischem und vor allem piksendem Stroh liegen sollten. Nun schien es als ob er Recht behalten sollte, denn das Kind war doch irgendwie unruhig und suchte offensichtlich eine angenehme, nicht piksende Liegeposition. Doch bei allen Besprechungen bestand die vorgesetzte Projektleitung auf dem Stroh und drohte ihm, sollte er sich über die Vorgaben hinwegsetzen, die schlimmsten aller schlimmen Arbeitsrechtlichen Konsequenzen an –  die Versetzung in den Rheingau! Davor fürchtete er sich natürlich sehr, denn das wäre ja die persönliche Katastrophe. Aber er sah es doch, dass es dem Kind nicht gut ging und er etwas tun musste. Er stellte also sein Weinglas ab und sah sich im Stall um, ob da nicht irgendwas zu finden sei was Abhilfe schaffen könnte. So lenkte er seine Blicke auch in die hintersten Ecken des Stalles und drehte dabei den Kopf weit nach rechts und links. Und da stach ihm das notwendige Material geradezu in die Augen. Es war geradezu lächerlich einfach, sodass er sich doch sehr wunderte nicht gleich auf diese Idee gekommen zu sein.
Vorsichtig  fing er also an, mit vor Angst schweißnassen Fingern die Krippe auszupolstern.
Das Kind schaute ihm freundlich zu und da fühlte er sie mit einem mal mehr als er sie hörte, diese besonderen Worte der Weihnachtsbotschaft: Fürchte dich nicht.
Also machte er einfach weiter – Rheingau hin oder her.
Und so begab es sich, dass an diesem besonderen Tag nicht nur die Engel jubilierten, Ochs und Esel bereitstanden oder die Hirten informiert waren. Nein, an diesem besonderen Tag lag das Kind in einer Krippe, in der absolut nichts störte. Es roch gut, es pikste nichts und es war einfach super warm und weich.
Ja, Engelsflügeldaunenfedern sind eben doch eine ganz besondere Polsterung.

Übrigens unser Alltagsengel wurde natürlich nicht strafversetzt. Er ist weiterhin in seinem „Hiwwelland“ unterwegs. Und bei seinen Besuchen zeigt er uns, dass sie nachwachsen, die Federn, die wir im Laufe der Jahre lassen müssen. Sie wachsen nach und sind schöner und dichter als zuvor. Und immer dann, wenn wir unsere Furcht überwinden schimmern sie sogar golden.
Auch in diesem Jahr wünsche ich uns allen diesen persönlichen Alltagsengel, der sich besonders gerne dann zeigt, wenn wir mal wieder so richtig Federn lassen mussten.
Und wie immer gilt: Der Alltagsengel wechselt seine Gestalt vielfältig und wunderbarerweise kann auch die jedes einzelnen von uns annehmen. Übrigens tut er das zu Weihnachten besonders gerne. So wünsche ich Groß und Klein auch im Namen der Beigeordneten und des Gemeinderates der Ortsgemeinde Wallertheim ein gesegnetes Fest und einen guten Start ins Jahr 2023.